Im letzten August erhielt der Verein eine Anfrage der 82-jährigen Kalifornierin Lilo Campeau, mit der Bitte, ob ihr jemand das einzig erhaltene Klassenfoto der Quarta von 1926 mit Erwin Strittmatter vor der „hochen Jungsenschule“ in Spremberg zuschicken könnte.
Warum? Sie versuchte schon seit längerem, Informationen über ihre Eltern zu finden. Ihre Mutter Edith, geborene Härtel, ist in Spremberg aufgewachsen; ob ihr Vater Joachim Tausend, geboren am 11.03.1913, auch Spremberger ist, wollte sie im Internet herausfinden.
Dabei stieß sie auf das von mir 2009 geführte Interview mit der Zeitzeugin Erika Brix, geborene Franke, die das Spremberger Mädchen-Lyceum besuchte und Erwin Strittmatter, der dort bei den Hausmeisterehepaar Pensionsgast war, kennen und schätzen gelernt hatte. Darin steht u. a.: „Auf dem bekannten Klassenfoto vor dem Spremberger Gymnasium zeigte sie mir sofort den frechen Joachim Tausend, besser bekannt als ,Krachschläger Hundert’.“
Lilo Campeau schrieb, dass könnte mein Vater sein, er war als junger Mensch sehr forsch. Nachdem ich ihr das Foto geschickt hatte, war meine Neugier geweckt und ich suchte die Textstellen im Laden Zweiter Teil nach Krachschläger Hundert. Strittmatter schreibt:
„Ich belade meinen Handwagen und trecke ihn die Muskauer Straße hinauf. Krachschläger Hundert kommt mir entgegen. In seinem Gesicht erspür ich die schon leicht markierten Züge des Rohlings, der er später geworden ist. Kito von Saspow, Kito von Saspow, Kito, Kito, Kito, behöhnt er mich. Ich denke an Großtante Maikas Rat: Sei bissel stolz ooch!“
Nun wurde ich noch neugieriger und wollte wissen, was aus Joachim Tausend geworden war. Seine Tochter antwortete, dass er im Unterschied zu einigen Familienmitgliedern „sich so weit wie möglich von den Nazis ferngehalten hat“. In den Dreißigerjahren machte er amerikanische Swingmusik in Berlin – er war einer der „Swing Kids“, über die es einen Film gibt. 1943 wurde er als Feind des Dritten Reiches verhaftet und bekam „Orders nach Sibirien“. Dem konnte er sich durch Flucht nach Dänemark entziehen, wurde dann von der britischen Armee bei seiner Schlauchbootüberfahrt gefangengenommen und ins Kriegsgefangenenlager gesteckt.
Die Mutter floh 1945 mit den Kindern vor den Russen in die Nähe von Wolfsburg, wohin der Vater 1946 zurückkehrte.
Wie es ihr gelang, seit Jahrzehnten in dem sonnigen Kalifornien zu leben, ist ebenfalls interessant …
Soviel zu Strittmatters Einlass: „Wahrlich, ich sage euch, dieses Buch da und dieses Buch hier enthalten neunzig Prozent Wahrheit und zehn Prozent Erlogenes, …“
Renate Brucke

